Was Rumäniens Frauen von der Politik erwarten

Rundtischgespräch mit führenden Politikern und Präsentation einer Studie

Spitzenvertreter demokratischer Parteien zeigten Engagement. Foto: die Verfasserin

Die Studie kann unter centrulfilia.ro/new/wp-content/uploads/2024/02/Grija-pentru-democratie-Interesele-Politice-ale-Femeilor-in-2024.pdf heruntergeladen werden.

Fast möchten man meinen, die ADZ wird auch im Parlament gelesen... Nach dem spöttischen Titel vom letzten Jahr „Herzlich abwesend zum Frauentag“ (ADZ, 14. März 2023), Untertitel: „Kein Ciucă und kein Ciolacu, dafür das beste Büffet“ und jeder Menge (verdienter) Ironie über vollmundig angekündigte, dann aber nicht erschienene Politiker und Politikerinnen, waren sie diesmal im Vorfeld des anstehenden Frauentags jedenfalls alle da: Senatspräsident Nicolae Ciucă (PNL), Premierminister Marcel Ciolacu (PSD), die Parteichefs Cătălin Drulă (USR), Hunor Kelemen  (UDMR) und REPER-Co-Leiterin Ramona Strugariu –  ein starkes politisches Signal!  

Und auch am Inhalt sollte es nicht fehlen: Neben zwei Rundtischgesprächen mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Diplomatie stellte die NGO Filia eine umfassende Studie zum Thema „Grija pentru democra]ie: Interesele politice ale femeilor in 2024“ (Demokratiepflege: Politische Interessen der Frauen 2024) vor.

Bisher gibt es kaum Studien auf nationalem Niveau, die sich mit den Interessen der weiblichen Bevölkerung befassen. Dabei bilden Frauen in Rumänien 52 Prozent des Wählerpotenzials, verrät das grüne Büchlein, das auf den Teilnehmerplätzen der Veranstaltung vom 27. Februar im Parlamentspalast ausliegt. Das seien rund „600.000 Stimmen mehr von der weiblichen Bevölkerung, weil Frauen älter werden als Männer“, so die Moderatorin des Events, die Abgeordnete Oana Șoiu.  „Wir wollen eine repräsentativere Demokratie“, erklärt Andreea Rusu von der NGO Filia. Und: „Seit 16 Jahren wird zum ersten Mal mit den Leitern aller demokratischen politischen Parteien an einem Tisch zu diesem Thema gesprochen.“ Seit ebensolanger Zeit sei dies die erste landesweit durchgeführte Studie zum Thema Frauen und Politik. Zum historischen Superwahljahr ein ermutigendes Zeichen. 

Auch anderswo starker Nachholbedarf

Die Notwendigkeit von Frauenförderung in der Politik erklärt Ramona Chiriac, Vertreterin des Repräsentativbüros der Europäischen Kommission in Rumänien: Noch 131 Jahre würde es brauchen, um mit der derzeitigen Geschwindigkeit - trotz jahrelanger Bemühungen - ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen in Führungsfunktionen innerhalb der EU herzustellen. 
US-Botschafterin Kathleen Kavalec - die sich als erste Frau in diesem Amt in Rumänien outet - gesteht: selbst im amerikanischen Kongress sitzen nur 25 Prozent Frauen. 

Der deutsche Botschafter, Dr. Peer Gebauer, verweist darauf, dass Gesellschaften mit hohem Frauenanteil in Politik, Wirtschaft und Kultur nachgewiesenermaßen erfolgreicher sind. Trotzdem sind Frauen in politischen Spitzenpositionen immer noch unterrepräsentiert, werden Frauen im Job oft schlechter bezahlt als Männer.

Frauen - Motor der Gesellschaft

Das erste Panel, moderiert von der schwedischen Botschafterin Therese Hyden, befasst sich mit der Frage, wie das weibliche Elektorat zu erreichen sei: „Es gibt eine direkte Verbindung zwischen einer soliden Demokratie und dem Respekt für Frauen“, erklärt Senatspräsident Nicolae Ciucă und verweist auf legislative Bemühungen Rumäniens, Frauen im öffentlichen Leben zu fördern. In der PNL läge der Frauenanteil inzwischen bei 45 Prozent, „vier von neun öffentlichen Ämtern sind weiblich besetzt“, so Ciucă, der außerdem erklärt, sich als Regierungschef seinerzeit persönlich dafür eingesetzt zu haben, dass mindestens 30 Prozent der politischen Funktionen von Frauen besetzt werden sollten.  Die PNL wolle auch weibliches Unternehmertum und Maßnahmen gegen häusliche Gewalt fördern. „Frauen sind der Motor der Gesellschaft, durch ihre Energie, Hingabe und Effizienz“, schließt Ciucă. 

Premierminister Ciolacu streicht Kampagnen und legislative Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen gegen Gewalt heraus, darunter auch das im letzten Jahr noch von Anca Dragu als in der Abgeordnetenkammer verschleppt beklagte, inzwischen verabschiedete Gesetz, dass Beischlaf mit unter 16-Jährigen als Vergewaltigung gilt. 

Strugariu forderte auch ein Ende der verbalen Gewalt gegen Frauen in der Politik: kaum eine Rednerin im Parlament, die sich nicht, während sie zu ihrem Platz zurückgeht, entwürdigende Macho-Sprüche anhören müsse. 

„Wir setzen uns tatsächlich zusammen und diskutieren“, lobt Cătălin Drulă die Aktivitäten und Vertreter von Filia, als Novum einer Kooperation zwischen einer NGO und dem Parlament.
Im zweiten Panel, moderiert vom Botschafter Kanadas, Gavin Buchan, diskutieren Abgeordnete von PSD, PNL, USR, UDMR und REPER über die Frage, wie die Anzahl der Frauen in der Politik erhöht werden könne. Streiflichter: „Poltitik für Frauen kann man nicht mit Männern machen“, beklagt Mara Calista (PNL) und verweist darauf, dass weniger als  fünf Prozent der Bürgermeister Frauen seien. Die UDMR-Abgeordnete Andrea Csep erzählt von ihrem  anfänglichen Zögern als Angehörige einer „zweifachen Minderheit - Frau und Ungarin“, sich politisch zu engagieren - und einem Schlüsselerlebnis mit einer Besucherin ihrer Sprechstunde, die begeistert erklärte, sich von Frau zu Frau mit ihren Anliegen viel besser verstanden zu fühlen. REPER-Politikerin Simina Tulbure kritisiert, dass Frauen in den Diskussionen um den Ukraine-Krieg kaum je eine Rolle spielten.

Was sich Frauen in Rumänien wünschen

78 Prozent der Frauen erklärten in der Umfrage für die Studie, sich mehr Frauen in der Politik zu wünschen. 75 Prozent glauben, dass Frauen dann auch allgemein weniger diskriminiert würden. „Deshalb fordern wir, dass auf den Wahllisten in diesem Jahr mindestens 30 Prozent Frauen sind“, sagt Filia-Vertreterin Andreea Rusu. Das häufig gegen die Quote vorgebrachte Argument der Meritokratie will sie nicht gelten lassen: in einer gesunden Demokratie müssten alle sozialen Kategorien vertreten sein.

Was Parteipolitiker in Anbetracht der anstehenden Wahlen wissen sollten: Von jenen Frauen, die noch nicht entschlossen sind, welche Partei sie dieses Jahr wählen wollen - laut Studie 34 Prozent - vertraten 92 Prozent die Meinung, der Staat unterstütze Familien mit Kindern viel zu wenig. Trotz wiederholter Diskussionen um die zu geringe Geburtenrate stünden zu wenige staatliche Krippen zur Verfügung, so dass 57 Prozent der Frauen genötigt waren, in der Zeit zwischen Mutterschaftsurlaub und Kindergarten ihren Beruf aufzugeben. 

Während jüngere Frauen sowie jene mit hohem Bildungsniveau vor allem die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Investitionen in das Bildungssystem fordern, legen ältere sowie weniger gebildete Frauen den Schwerpunkt auf ein funktionelles öffentliches Gesundheitssystem, so die Studie. Das Budget für Bildung und Gesundheit aber bildete in den bisherigen Regierungen Rumäniens im EU-Vergleich stets das Schlusslicht, moniert Rusu.

Ein weiteres Thema ist Gewalt gegen Frauen: 35 Prozent aller Befragten kennen „mindestens eine Frau“, die zu sexuellen Beziehungen gezwungen wurde, über 30 Prozent  ein Opfer von Vergewaltigung. Doch die tatsächlichen Zahlen liegen höher, denn sehr viele Opfer sprechen mit niemandem darüber.

77 Prozent der Frauen - und zwar gleichermaßen aus allen sozialen, religiösen und Alterschichten - sind gegen ein Gesetz, das Abtreibung verbietet. Eine Partei, die ein solches zur öffentlichen Diskussion stellen wollte, würde unter Frauen eine Reaktion  „wie Sprengstoff“  auslösen, heißt es in der Studie. 60 Prozent der Frauen, die gegen ein Abteibungsverbot sind, verlangen außerdem, dass der Schwangerschaftsabbruch unabhängig vom Motiv vom Staat bezahlt werde. Von den Frauen, die dies nicht fordern, sind die meisten für eine Kostenübernahme für Minderjährige oder Vergewaltigungsopfer. Von jenen Frauen, die ein Verbot der Abtreibung befürworten, ändert die überwältigende Mehrheit diese Meinung, wenn es sich um Vergewaltigungsopfer handelt oder das Leben der Mutter gefährdet ist. 

Die meisten Frauen Rumäniens sehen Schutzmaßnahmen gegen häusliche Gewalt - Eingreifen der Polizei, Frauenhäuser - positiv.

Vorurteile, mangelndes Vertrauen

Neben den wichtigen Fragen bietet die Studie auch Einblick in die landestypischen Vorurteile und Fehlinformationen. Im Kapitel „Soziale Distanz“ etwa verrät ein Diagramm, dass 40 Prozent der befragten Frauen keine homosexuellen Nachbarn haben möchten. 35 Prozent wollen nicht neben Muslimen wohnen, 34 Prozent nicht neben Aids-Kranken, 25 Prozent nicht neben Juden (!), gefolgt von Einwanderern von außerhalb Europas (23%), Roma (22%), Ukraine-Flüchtlingen (20%), Wählern einer ihnen missfallenden politischen Partei (12%) oder armen Leuten (6%). Die Ablehnung der genannten Gruppen ist prozentuell höher bei Frauen über 65 und geringer in Groß- und Universitätsstädten. Auch Bildung und Einkommen spielen eine Rolle: Sowohl gebildete als auch besser verdienende Rumäninnen neigen zu weniger Ablehnung.
Besonders gefährdet, was Desinformationen aus dem Internet betrifft, sind Frauen unter 30 und jene in Siebenbürgen.

Interessant auch die Einstellung rumänischer Frauen zu nichtreligiösen NGOs: nur 39 Prozent würden solchen Organisationen vertrauen. Deutlich unter dem nationalen Niveau liegt das Vertrauen von Frauen über 45 Jahren sowie von Frauen in der Großen Walachei und in der Moldau in nicht kirchliche NGOs. Durchwegs hoch ist allerdings der Vertrauensstand in die Europäische Union.

So sehr sich die rumänische Weiblichkeit auch Gleichberechtigung in der Politik wünscht: Was die Aufgabenverteilung in Ehe oder Familie betrifft, halten sich alle Altersklassen an die althergebrachte Rollenverteilung. Kochen, Putzen, Wäschewaschen und Kinderpflege sind immer noch vorwiegend Frauensache!